Gestalten statt verwalten
Warum Leadership in Schule jetzt entscheidend ist 

Von Martin Fugmann (erschienen in didacta – Das Magazin für lebenslanges Lernen 4/2025)

Eine Welle von Veränderungen trifft die Schulen: Künstliche Intelligenz, neue Lernformen, gesellschaftliche Krisen, Digitalität. Wer Schule „managt“, wird von dieser Transformationswelle überrollt. Wer Leadership zeigt, surft sie – und verwandelt Unsicherheit in Gestaltungskraft. 

Schulleitungen machen den Unterschied. Sie geben Richtung, wenn Gewissheiten fehlen, öffnen Räume für Innovation und schaffen Vertrauen. Leadership heißt: Menschen beteiligen, stärken und Orientierung geben. Systemisch denken, wertebasiert handeln, proaktiv agieren und empathisch führen. 

Schule als vernetztes System 

Veränderung in Schulen betrifft immer das Gesamtsystem. Wer digitale Portfolios einführt, verändert den Unterricht. Wer dafür Zeiträume schafft, greift in Organisation ein. Wer Lehrkräfte qualifiziert, betreibt Personalentwicklung. Schulleitungen müssen diese Ebenen miteinander verbinden und antizipieren, wie Entscheidungen auf Lernprozesse, Strukturen und Menschen wirken. 

Führung gelingt nie allein, sondern in geteilter Verantwortung. Agile Entwicklungsteams, Steuergruppen und professionelle Lerngemeinschaften übernehmen dabei eine Schlüsselrolle. Sie bereiten Veränderungen vor, koordinieren sie, involvieren das Kollegium und sichern nachhaltige Entwicklungszyklen. Am wirksamsten ist Leadership, wenn es gelingt, Lehrkräfte für Selbstführung zu sensibilisieren – wenn sie Verantwortung übernehmen, kollegial beraten, Ergebnisse sichtbar machen und Feedback- sowie Fehlerkultur leben. Schulleitungen schaffen dafür mit Ihren Kollegien den Rahmen: klare Ziele, Zeitfenster und Vertrauen. 

Werte geben Richtung 

Schulen brauchen eine klare Werteorientierung. In der Kultur der Digitalität bedeutet das: den Einsatz digitaler Mittel an Schulentwicklungszielen auszurichten – etwa auf Beziehungsarbeit, Chancengerechtigkeit, Demokratiebildung, Potenzialentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung. Wenn Schüler:innen in Steuergruppen über Tools oder Lernwege mitentscheiden, geschieht das auf der Basis von Partizipation und Vertrauen. So werden Werte zum Kompass jeder Entscheidung. 

Entscheidend ist, dass Lernen in der digitalen Transformation nicht an Anwendungskompetenz allein gemessen wird. Schulen brauchen Räume des Wohlbefindens:Lehrkräfte und Schüler:innen brauchen psychologische Sicherheit, um Neues zu wagen. Eine bewusste Beziehungskultur – mit Feedbackrunden, Supervision oder inspirierende Lernräumen – schafft die Grundlage dafür, dass Innovation nicht Angst erzeugt, sondern Motivation. 

Handeln in Unsicherheit 

Besonders sichtbar wird Leadership in Zeiten der Unklarheit. Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) konfrontiert Schulen mit neuen Fragen: Wie verändern sich Lernen und Prüfungen? Welche Kompetenzen werden künftig entscheidend sein? Schulleitungen müssen diese Themen proaktiv aufgreifen – und zugleich empathisch mit den Sorgen im Kollegium umgehen. 

Ein Beispiel: Am Evangelisch Stiftischen Gymnasium (ESG) in Gütersloh, meiner Schule mit mehr als 1.100 Schülerinnen und Schülern, begann dieser Prozess bereits 2020. Zunächst entlasteten KI-Systeme bei Korrekturen, später wurden sie in Fachunterricht und Methodik integriert. Sprachmodelle erweiterten den Horizont, datenschutzkonforme Lösungen wurden in Zusammenarbeit mit EdTech-Partnern getestet. KI wurde Bestandteil von Facharbeiten – und damit Gegenstand kritischer Reflexion. Die Fachhochschule Gütersloh erforschte Nutzung, Haltung und Akzeptanz. Entscheidend war der kontinuierliche Dialog mit Kollegium, Schüler- und Elternschaft – und die Förderung engagierter Pionierinnen und Pionieren im Kollegium. Im Sinne der Chancengerechtigkeit stellte die Schule allen Schülerinnen und Schülern gleiche Zugänge zu Tools bereit. 

Forschung bestätigt, wie entscheidend  Haltung von Leadership bei der Implementierung innovativer Technologie ist: Laut einer Studie von Markus Pietsch und Dana-Kristin Mah lassen sich rund 30 Prozent der Unterschiede bei der Implementierung von KI an Schulen auf das Digital Mindset der Schulleitung zurückführen. Besonders wirksam: Proaktivität – Chancen frühzeitig erkennen – und  Empathie – Sorgen ernst nehmen. Ob KI zur Belastung oder zum Katalysator für Lernen wird, entscheidet sich auch an der Art, wie Schulleitung führt. (Pietsch, Mah: Leading the AI transformation in schools: it starts with a digital mindset, 2024) 

Ambidextrous Leadership – Führung zwischen Experiment und Struktur 

Führung in Zeiten der Unsicherheit bedeutet, Gegensätze auszuhalten. Schulleitungen müssen Räume für Experimente öffnen – und zugleich Strukturen sichern, die Orientierung und Qualität bieten. Nur wenn beides gelingt, wird Digitalisierung zu einem nachhaltigen Bestandteil der Lernkultur. 

Auch der Umgang mit Daten ist ein wichtiger Hebel: Digitale Systeme können Lernprozesse sichtbar machen – nicht zur Kontrolle, sondern zur Reflexion und Weiterentwicklung. So werden Daten zu einem Spiegel für Schulqualität. 

Haltung zeigen 

Leadership zeigt sich nicht nur in Strategien, sondern in der inneren Arbeit der Führung: Welche Werte leiten mich? Wie gehe ich mit Widersprüchen um? Wie handle ich in Konflikten? Transformationale Führung nach Michael Schratz bedeutet, Routinen loszulassen, um Raum für Neues zu schaffen. (Schratz: Entwicklung von Schule und Unterricht braucht transformationale Führung – und wie!?, 2025) 

Am ESG setzen wir auf beziehungsstiftende, teamorientierte Prozesse, die auch die emotionale Ebene bewusst einbeziehen – etwa durch künstlerische Formate, Improvisationstheater oder Methoden aus dem Psychodrama. Sie fördern Selbstreflexion und gemeinsame Willensbildung. Entscheidungen werden zunehmend im Konsens getroffen, auf Basis tragfähiger Beziehungen und Vertrauen. Das erfordert Mut zum Kontrollverlust – und schafft Vertrauen im gesamten Kollegium. 

Wenn Leadership wirkt 

Selbstverantwortung, Lernbereitschaft und Neugierde zu fördern – das ist das Ziel vieler Schulen. Doch wirklich transformative Praktiken wie veränderte Zeitstrukturen, interdisziplinäre Lernformate oder kompetenzorientierte Unterrichtssettings stoßen oft an Systemgrenzen. Am ESG haben wir  Lernreisen, Hospitationen und Netzwerkbildung genutzt, um neue Perspektiven zu öffnen. Daraus entstanden Prototypen wie gemeinsame Startphasen vor Unterrichtsbeginn, fächerübergreifende Projekte bis in die Oberstufe, nicht benotete Feedbackgespräche und die Entwicklung einer Maker-Kultur. 

Professionelle Coaches, Trainer:innen und Künstler:innen begleiteten die Prozesse. Die Schulleitung übernahm Moderation, Kommunikation und die Akquise finanzieller Ressourcen. Entscheidend jedoch blieb: Begeisterung und Engagement vorzuleben. 

Vernetzt denken – gemeinsam handeln 

Leadership endet nicht an der Schultür. Transformation gelingt schneller, wenn Schulen sich vernetzen – mit Nachbarschulen, Hochschulen, Unternehmen oder Trägern. Schulleitungen öffnen ihre Schule für Kooperationen und sorgen zugleich für klare Absprachen, damit Projekte Wirkung entfalten. So wird Leadership zur regionalen Aufgabe mit Strahlkraft über die einzelne Schule hinaus. 

Junge Menschen stärken 

Am Ende steht der Kern schulischer Arbeit: junge Menschen zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen und Selbstwirksamkeit zu erleben. Gestaltende Führung bedeutet, Mut zu machen – Neues zu ermöglichen, ohne die Orientierung zu verlieren. 

So entstehen Schulen, in denen gilt: „Meine Stimme zählt. Ich kann Verantwortung übernehmen. Ich kann etwas bewirken.“ Leadership schafft die Voraussetzung dafür.