Impulse für eine zeitgemäße Bildung aus Wissenschaft und Praxis – Bericht zur Beiratssitzung am 3. April 2025
Gibt es zu viele künstlich voneinander abgegrenzte Fächer und ausdifferenzierte Lehrpläne? Diese Frage stand im Zentrum der Beiratssitzung der Heraeus Bildungsstiftung unter der Leitung von Dr. h.c. Beate Heraeus am 3. April 2025 in der ODDO BHF Bank in Frankfurt. Schnell wurde klar: Mehr oder neue Fächer im klassischen Sinne sind nicht die Lösung, es geht um eine grundlegende Neuausrichtung von Wissensvermittlung und -bewertung – strukturell, pädagogisch und inhaltlich.
Weg vom Fächerkanon zu interdisziplinären und stimulierenden Lernsettings
Höhepunkt der Sitzung war der Impulsvortrag des Neurobiologen Prof. Dr. Martin Korte, der zeigte: Lernen ist ein vernetzter und sozialer Prozess. Denn das Gehirn lernt am besten im Miteinander. Beziehung, Vertrauen und Interaktion sind dafür zentrale Voraussetzungen. Der noch verbreitete starre Fächerkanon steht dieser Erkenntnis im Weg. Andere Mitglieder des Beirats unterstützten aus ihrem Blickwinkel, dass die additive Struktur des Schulalltags häufig dem so wichtigen Beziehungsaufbau und damit dem Lernen selbst entgegenwirkt.
Martin Korte wies auch auf die für ein friedvolles Miteinander bedeutungsvolle Entwicklung der Empathiefähigkeit hin, die entsteht durch eine „mentale Reise in die Köpfe anderer Menschen“. Studien zeigten auch, dass übermäßig unreflektierter Medienkonsum zu messbar sinkender Empathiefähigkeit führen kann, mit Konsequenzen für das soziale Lernen und Miteinander.
Zukunftskompetenzen statt Schulfächer
Gefragt ist demzufolge eine Schule, die junge Menschen befähigt, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen. Im Fokus standen daher sogenannte Future Skills: Problemlösekompetenz, Teamarbeit, Selbstorganisation, Medien- und Demokratiefähigkeit. Diese sollten nicht nur „vermittelt“, sondern in authentischen Lernsettings wie Projektarbeit konkret erfahrbar gemacht werden.
Martin Korte betonte die Notwendigkeit eines soliden Wissensfundaments – insbesondere, um Informationen aus digitalen Quellen einordnen und bewerten zu können:
„Eine Grundstruktur des Wissens muss vorhanden sein, um Informationen der Künstlichen Intelligenz gewichten und kritisch bewerten zu können.“ Je weniger ein Mensch selbst weiß, desto stärker ist er anfällig für stereotype, vereinfachte Muster – ein zentrales Risiko in der digitalen Informationsflut.
Digitale Bildung – mit Maß und Ziel
Die Diskussion um eine digitale Bildung verlief differenziert. Martin Korte plädierte für eine altersgerechte, konzeptbasierte Medienbildung – vor allem im Grundschulalter in enger Zusammenarbeit mit Eltern und Kindern. Medienkompetenz könne auch ohne digitale Geräte entwickelt werden, etwa durch medienpädagogische Führerscheine für Eltern oder durch eine reflektierte Medienbildung im Unterricht.
Studien zeigten zudem, dass handschriftliche Notizen und analoge Materialien das Gedächtnis stärken und die Konzentrationsfähigkeit fördern. Die entscheidende Frage sei nicht, ob digitale Medien genutzt werden – sondern, was Kinder und Jugendliche möglicherweise verpassen, wenn sie zu viel Zeit vor Bildschirmen verbringen.
Lehrkräfte als Schlüssel zum Wandel
Ein zentrales Thema war die Rolle der Lehrkräfte als Beziehungsgestalter:innen und Lernbegleiter:innen. Martin Korte machte deutlich, worauf es dabei ankommt: Selbstreflexion, Selbstmanagement, Beziehungsfähigkeit, soziale Kompetenz und verantwortungsvolle Entscheidungsfindung.
Er sprach in diesem Zusammenhang vom „Wagenheber-Effekt“: Die Lehrkräfteausbildung müsse genau an den Stellen ansetzen, an denen gezielte Impulse große Wirkung entfalten können – insbesondere in der Persönlichkeitsentwicklung. Diese Haltung müsse schon in der Aus- und Weiterbildung systematisch gestärkt werden. Der Beirat erörterte, wie Stiftungen pädagogische Ausbildungsorte**,** wie Studienseminare**,** wirkungsvoll dabei unterstützen können.
Impulse aus dem Beirat: Schule als Ort gesellschaftlicher Verantwortung
Bildungs- und Transformationsexperte Prof. Dr. Heiko Röhl, der Medienexperte Sönke Reimers sowie Vertreter:innen aus Bildungsstiftungen wie der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, der Wilhelm und Else Heraeus Stiftung, der Katinka Platzhoff Stiftung und der ODDO BHF Bank Stiftung vertieften in ihrer Diskussion den Skalierungseffekt. Inwieweit können die jährlich vorhandenen Mittel aus deutschen Stiftungen dazu beitragen, Best-Practice-Beispiele zu verbreiten? Von frühkindlicher Förderung unter Einbeziehung der Familien, von außerschulischer, partizipativer Jugendbildung, von Mental Health und gesellschaftlicher Resilienz bis hin zur Rolle von Stiftungen in Transformationsprozessen wurden vielfältige Perspektiven aufgezeigt.
Martin Fugmann plädierte zusammenfassend für Schulen, die den Beziehungsaspekt konsequent ins Zentrum stellen. Christiane Lohrmann skizzierte neue Kooperationsvorhaben mit Stiftungen und Bundesländern und zeigte die Gelingensbedingungen solcher Partnerschaften. Programmleiterin Mandy Geisler brachte es auf den Punkt: „Unsere Arbeit ist Science Fiction.“ Denn Schule muss junge Menschen heute auf eine unvorhersehbare Zukunft vorbereiten – und sich dafür selbst als lernende Organisation verstehen.