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„Die großen Gedanken, die Vision – das geht nur gemeinsam“

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„Die großen Gedanken, die Vision – das geht nur gemeinsam“

Interview mit Micha Pallesche und Dominik König-Kurowski
Preisträger 1. Platz „Vorbildliche Schulleitung“ Deutscher Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ

Micha Pallesche und Dominik König-Kurowski sind das Leitungsteam der Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe. 320 Schüler*innen lernen und leben dort im Ganztag, 38 Kolleg*innen begleiten sie. Aktuell wächst die Schülerschaft um eine Klasse mit Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule hat zahlreiche Preise gewonnen, zuletzt erhielten Micha Pallesche und Dominik König-Kurowski den 1. Platz beim Deutschen Lehrkräftepreis in der Kategorie „Vorbildliche Schulleitung“. Vorgeschlagen hat sie ihr Team. Wir sprachen mit ihnen über Wertschätzung, Partizipation, Verbündete und den Stellenwert von Emotionen bei der Schulentwicklung.

Wann erfahrt ihr im Alltag Wertschätzung für eure Arbeit – wenn ihr nicht gerade einen Preis bekommt?
Dominik König-Kurowski: „Wertschätzung erfahren wir jeden Tag an der Schule. Die Wertschätzung, die wir für das Kollegium haben, bekommen wir auch zurück. Die wertvollen Momente sind oft die kleinen, die zwischen den zwei stressigen Schulstunden. Der Deutsche Lehrkräftepreis war natürlich ganz groß und medial begleitet – aber ich mache die Wertschätzung z. B. auch daran fest, dass ich ins Lehrerzimmer gehen kann und da verstummt kein Gespräch, wenn ich die Tür reinkomme.“

Micha Pallesche: „Was bedeutet eigentlich Wertschätzung? Wenn man als Schulgemeinschaft eine gemeinsame Vision oder ein Ziel hat und man merkt immer mal wieder, dass da was passiert, dass die Schritte gegangen werden, dann hat das auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Ich bin manchmal voll des Glücks, wenn ich durch die Schule laufe und tolle Lernsituationen sehe. Oder auch unsere offenen Türen: Man kann immer kommen und sich alles sagen, auch kritisch, auch wenn man eine andere Meinung hat. Das sind Momente der Wertschätzung des Alltags für mich.“

Wie habt ihr es geschafft, diese Kultur der Wertschätzung an eurer Schule zu etablieren?
Micha Pallesche: „Durch Vorleben: Wertschätzend zu handeln und zu formulieren, Taktgefühl zu haben, eine Offenheit zu haben – darüber gelingt ganz viel. Wir hören ins Kollegium hinein: Was wird da gebraucht? Wo gibt es auch Probleme mit Veränderungsprozessen? Und ich denke, eine positive Grundhaltung ist für den Aufbau einer Wertschätzungskultur wesentlich. Ein Beispiel aus unserem Alltag: Wir halten gezielt positive Momente im Miteinander, z. B. in unseren Sekundenglückvideos, fest und verknüpfen sie so für die Schüler und die Lehrer mit unserer Schule.“

Dominik König-Kurowski: „Wir sind außerdem recht gut darin, viel möglich zu machen, wenn jemand mit einer kleinen, klugen Idee kommt, in der Herzblut steckt. Der Ermöglichergedanke ist groß bei uns!“
Micha Pallesche: „Genau, man kann sich hier einbringen mit seinen Ideen, man kann partizipieren und man erlebt Selbstwirksamkeit. Dann wird Schule der eigene Ort. Dann legt man Wert darauf, dass die Prozesse gelingen, auch die von anderen. Das ist ein guter Nährboden für gegenseitige Wertschätzung.“

Ihr arbeitet als Team – Vorteil oder Nachteil?
Micha Pallesche: „Ich glaube, es geht nur im Team! Die Herausforderungen sind so groß, da braucht es die Rückkopplung. Nicht nur in unserem Zweierteam, sondern von ganz vielen Menschen. Klar muss man im Alltag auch Dinge allein entscheiden – aber die großen Gedanken, die Vision, das geht nur gemeinsam.“

Was macht den Lern- und Lebensraum Ernst-Reuter-Schule aus?
Micha Pallesche: „Wir stellen das Kind in den Mittelpunkt unseres Handelns, das zeichnet unsere Schule aus. Wir haben einen hohen Anteil an Partizipation. Das Thema Gemeinschaft ist für uns auch sehr wichtig: Wie schaffen wir verbindende Elemente? Wesentlich ist die Öffnung, die Entgrenzung unserer Schule: Wir gehen ins Quartier und wir holen Menschen von außen zu uns. Außerdem möchten wir Chancen ermöglichen. Wir haben viele Kinder an unserer Schule, die bisher nicht so viele Chancen hatten. Um aber Chancen ergreifen zu können, braucht es auch viele Gelegenheiten dazu.“

Dominik König-Kurowski: „Ich möchte noch drei Punkte ergänzen: Es geht bei uns immer wieder um sinnstiftende Begegnungen: zwischen Alt und Jung, in der Inklusion, mit geflüchteten Kindern, zwischen Mensch und Maschine. Dann unser Gedanke zum Ganztagsangebot: Alles, was in der Gesellschaft ist, muss in den Ganztag hinein. Das pure Leben in der Schule! – gerade auch im Hinblick auf die benachteiligten Kinder. Und drittens fragen wir uns immer wieder: Wie bleiben die Kinder möglichst lange neugierig, lern- und leistungsbereit?“

Welche Rolle spielt die Digitalität an eurer Schule?
Micha Pallesche: „Die Praktiken, die die Kultur der Digitalität auszeichnen, wie das gemeinsame Lösen von komplexen Fragestellungen, die Co-Kreation, die agilen Methoden, das versuchen wir im Alltag auf verschiedenen Ebenen einzubauen. Das lernst du nicht unbedingt in der Lehrkräfteausbildung. Wir integrieren das in unsere Arbeit mit dem Kollegium – natürlich verbunden mit dem Gedanken, dass sich das auf die Schülerinnen und Schüler überträgt. Unser Ideenbüro z. B. ist genau das: ein Ort, an dem Schülerinnen und Schüler reale Problemstellungen kennenlernen und versuchen, sie co-kreativ zu lösen. Klar, wir haben eine sehr gute Ausstattung, die digitalen Medien sind alle da und wir nutzen sie – aber das ist nicht das große Thema. Viel spannender ist doch, dass viele Menschen, die uns besuchen, ein bestimmtes Bild von einer Medienschule im Kopf haben und dann sagen: Das sieht ja gar nicht nach Schule aus bei euch! Das ist für mich das größte Kompliment.“
Wie geht ihr neue Wege an eurer Schule und welche Verbündeten habt ihr?

Dominik König-Kurowski: „Man braucht ganz viele Unterstützer und Gefährten, um dann einfach zu ,machen‘ Wir haben viele Partner, die Pädagogische Hochschule, die Hochschule der Medien, Partner aus der Wirtschaft. Und dann – das gehört auch dazu – muss man natürlich auch gut sein in dem, was man tut, und das auch nach außen tragen. Ein Preis wie der Deutsche Lehrkräftepreis kann dabei ein Türöffner sein. Wichtig sind auch, das wird oft nicht gesehen, die Eltern und ihre Zufriedenheit.“

Micha Pallesche: „Die Partizipation ist ein zentrales Element: Wenn sich Schüler und Eltern an der Schulentwicklung beteiligen, dann ist die gesamte Schulgemeinschaft im Boot. Das ist viel nachhaltiger, weil es viele mitdenken und weitertragen. Das Aufbrechen der Vorstellungen von Schule, das ist ein ganz großer Knackpunkt. Jeder hat ein Bild von Schule im Kopf – die Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer. Wir arbeiten bei Entwicklungsprozessen ganz viel mit positiven Emotionen: Sie beschleunigen den Prozess und sind hilfreich, Gewohnheiten auch aufzubrechen. Das ist nach meiner Beobachtung ein unterschätztes Element der Schulentwicklung. Das spielt bei den bisherigen Forschungen keine Rolle.“

Was brauchen die Schülerinnen und Schüler heute in der Schule?
Dominik König-Kurowski: „Ich glaube, was sie brauchen, ist ein Raum, der ihnen ermöglicht, auf Zusammenhänge zu gucken, wie bei uns im Fach TheA (TheA heißt Themenorientiertes Arbeiten: Hier werden traditionelle Fächer wie Biologie, Erdkunde, Physik und Chemie zusammengefasst, um ein Thema mit Zeit, in kleinen Lerngruppen und vielschichtig anzugehen. Anm. d. Red.) Unser Leben wird immer komplexer, schwieriger und undurchschaubarer. Auch in der Schule müssen die Zusammenhänge viel mehr in den Mittelpunkt gestellt werden.“

Micha Pallesche: „Man muss die Schülerinnen und Schüler ernst nehmen, ihnen zuhören und den Perspektivwechsel vollziehen: Wie, was und wo wollen sie lernen? Das ist ein Schlüssel, auch bei Transformationsprozessen. Denn es geht nicht nur darum, die Perspektive zu verstehen, sondern daraus auch Veränderungen abzuleiten. Schülerinnen und Schüler können die Herzen der Pädagoginnen und Pädagogen öffnen. Wenn ich ihre Visionen für die Schule höre, dann kann ich als Lehrer ja gar nicht anders, als danach zu handeln!“

Interview: Valeska Falkenstein

Preisverleihungszene mit Micha Pallesch eund Dominik König-Kurowski