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Interview mit Dr. h. c. Beate Heraeus und Ursel Heraeus

Eine Unternehmerin, die ihrer eigenen Schulzeit wenig abgewinnen konnte. Eine ehemalige Lehrerin, für die die Schule schon in der Kindheit ein Ort war, an dem sie sich wohlgefühlt hat.

Beide begleiteten und prägten die Heraeus Bildungsstiftung jahrzehntelang durch ihr Engagement im Vorstand und setzten sich für eine Schule ein, die Persönlichkeiten wachsen lässt. Jetzt ist es Zeit für eine Veränderung: Ursel Heraeus, Vorstandsmitglied seit 2006, und Dr. h. c. Beate Heraeus, seit 2008 Vorstandsvorsitzende und seit 36 Jahren im Vorstand aktiv, übergeben zum 1. April 2023 ihre Ämter an ihre Töchter Christine Heraeus und Alexandra Heraeus. Ein guter Moment, um ins Gespräch zu kommen.

Warum haben Sie sich in der Stiftung engagiert? Gehört sich das so, wenn man zur Familie Heraeus und den Gesellschaftern des Unternehmens zählt?

Ursel Heraeus: Engagement ist nicht selbstverständlich, aber für einen guten Gesellschafter gehört es sich, dass man sich nicht verschließt. Mein Mann war früher in der Wilhelm-und-Else-Heraeus-Stiftung engagiert und dadurch kannte ich die Stiftungsarbeit schon. Und als Lehrerin prägte das Thema Schule mein berufliches, aber auch mein privates Leben.

Beate Heraeus: Meine Mutter hat sich in unserem elterlichen Unternehmen sehr sozial engagiert, von ihr habe ich gelernt: Gesellschaftliches Engagement gehört zu unternehmerischer Verantwortung. Als mich Jürgen Heraeus fragte, ob ich mich, als seine Frau, in der Bildungsstiftung einbringen möchte, habe ich das gerne getan. Besonders froh war ich, als Ursel an meiner Seite in den Vorstand kam, denn als Lehrerin kannte sie die Themen und Herausforderungen des schulischen Alltags bestens. Bei meinem langjährigen Engagement war mir aber auch die Vorbildfunktion für die nachfolgende Generation besonders wichtig, d. h. locken und werben, sich verantwortungsvoll einzubringen.

Wie haben Sie Ihre eigene Schulzeit erlebt?

Ursel Heraeus: Ich bin – seltsamerweise – immer gerne in die Schule gegangen, bis auf einzelne Tage vielleicht … (lacht). In der engeren Familie war ich die Erste, die aufs Gymnasium gehen konnte. Das war für mich eine Ehre. Ich war vom ersten Tag an im Gymnasium Klassensprecherin und die letzten zwei Jahre Schulsprecherin. Das hat dazu beigetragen, dass man sich über die Schulfächer hinaus mit der Schule beschäftigt, und das kann man nur, wenn man sich dort auch wohlfühlt.

Beate Heraeus: Grundschule fand ich gut! Mit meinem Freund Molli haben wir als Klassensprecher unseren Lehrer, Herrn Töppe, gern unterstützt. Dann auf dem Gymnasium habe ich mich nicht wohlgefühlt, es gab keine Lehrkraft, auf die ich mich gefreut habe. Ich habe die Schulzeit – und später auch das Studium – durchgezogen. Ich war selten beflügelt, habe vieles, ganz im Zeitgeist der 68er, infrage gestellt. Aber ich wollte das Ziel erreichen, deswegen habe ich durchgehalten. Über das Thema Schule habe ich dann erst wieder nachgedacht, als meine eigenen Kinder in der Schule waren, und habe umso mehr die Lehrerinnen und Lehrer meiner Kinder geliebt.

Gab es eine Lehrkraft, die Sie geprägt hat?

Beate Heraeus: Es gab eine Lehrkraft, die mich im negativen Sinn geprägt hat. Mein Latein- und Französischlehrer, 7. Klasse. Er hat meiner Mutter in meinem Beisein prophezeit, dass ich nie das Abitur oder ein Studium schaffen würde. Nach meiner ersten Bestürzung dachte ich mir: Dem zeige ich es! Immerhin sorgte er dafür, dass ich heute immer noch ganz gut Französisch verstehe! Unabhängig von Lehrkräften hat mir Mathe Spaß gemacht, weswegen ich dann später BWL studierte.

Ursel Heraeus: In der 3. Klasse hatte ich eine Klassenlehrerin, Frau Karcher, und nach einem halben Jahr habe ich gesagt: Ich möchte so werden wie sie, ich will auch Lehrerin werden. Ich hatte aber auch später immer Lehrerinnen und Lehrer, speziell in der Oberstufe, die mich beeindruckt haben und denen ich nacheifern wollte. Meinen Klassenlehrer in der Oberstufe wollte ich zum Beispiel nicht verlieren und nur deswegen mit Latein weitermachen – auch wenn ich in dem Fach nicht gut war. Oder meine Deutschlehrerin in der 10. Klasse: Sie hat einmal pro Woche einen Literaturkurs abends angeboten und da bin ich jede Woche hingegangen und wir haben über Brecht gesprochen, über Themen, die im Lehrplan nicht vorkamen.

Sie wollten also seit Sie 9 Jahre alt sind Lehrerin werden?

Ursel Heraeus: Ja! Aber dann hatte ich in der 10. Klasse ein schlechtes Zeugnis und dann war die Frage: Welchen Beruf soll ich denn sonst erlernen, wenn ich jetzt abgehe? Nichts anderes kam für mich infrage! Und dann habe ich mich angestrengt und bin auf der Schule geblieben, nur um Lehrerin werden zu können.

Welche Entwicklungen konnten Sie in Ihrer Zeit als Lehrerin beobachten?

Ursel Heraeus: Man wurde vom Einzelkämpfer zum Teamkollegen. Der Einzelkämpfer hatte natürlich auch persönliche Vorteile, man konnte unabhängig arbeiten. Das hat sich dann geändert und das fand ich aber gut: mehr in die Gruppe zu gehen, gemeinsam für eine Klasse etwas vorzubereiten, gemeinsam zu schauen, wie lernen Schüler, worauf muss ich achten? Wir haben auch die Elternabende gemeinsam vorbereitet.

Was hat sich aus Stiftungssicht an den Schulen verändert?

Beate Heraeus: Die Anforderungen an Lehrkräfte haben sich extrem verändert. Ein Drittel ihrer Arbeit heute betrifft Management und Psychologie. Wissensvermittlung ist nicht mehr ihre zentrale Aufgabe, man braucht mehr intrinsische Motivation, um Schüler neugierig zu machen. Daraus ergibt sich, dass bei Ministerien und Verwaltungen ebenfalls Stellschrauben gedreht werden müssen. Ausgehend von der Lehrkraft sollten wir sie fragen: Was hat sich für sie im Alltag verändert und wer oder was erschwert oder verhindert, wenn sie sich darauf einstellen wollen?

Warum macht es Sinn, dass Stiftungen sich für Schulen engagieren?

Beate Heraeus: Erst mal müssen wir zuhören, wo drückt der Schuh? Und dann etwas anbieten. Damit tun sich Stiftungen leichter als z. B. ein Ministerium, denn man kann fragen und experimentieren. Als Stiftung kann man es eher riskieren, mit einem Projekt auch mal zu scheitern.

Ursel Heraeus: Die Stiftung hat einfach kürzere Wege, die Bedarfe zu entdecken und etwas zu entwickeln. Man kann leichter sagen: Das probieren wir mal aus. Die Umsetzung passiert dann auch schneller, weil es ein kleineres System ist.

Beate Heraeus: Meine Motivation war und ist das große Ganze: Wie kriegen wir diese Gesellschaft in eine gute Dynamik? Wie kann es Schule gelingen, dass die Jugend ihr Leben eigenverantwortlich entsprechend ihren Talenten in die Hand nimmt? Wenn wir Europa stärken wollen, brauchen wir ein exzellentes Bildungssystem für alle, und das muss ein bisschen schneller gehen als zurzeit.

Sie bleiben beide auch im Beirat der Stiftung aktiv, warum wird es Ihnen außerdem nach der Vorstandszeit in der Heraeus Bildungsstiftung nicht langweilig?

Ursel Heraeus: Mir war noch nie in meinem Leben langweilig! Ich habe meine Aufgabe im Gesellschafterausschuss beim Heraeus-Konzern, bin im Vorstand der Wilhelm-und-Else-Heraeus-Stiftung aktiv, engagiere mich im Förderverein meiner alten Schule und im Förderverein eines Kinderhauses, freue mich über zwei Enkel vor Ort und betreue zeitweise meinen 98-jährigen Vater.

Beate Heraeus: Ich freue mich nach Jahrzehnten der verantwortlichen Leitung anderer Stiftungen vor allem darauf, meine eigene Stiftung, die Beate Heraeus Foundation, größer zu machen, weil Abstimmungsprozesse entfallen. So kann ich mehr experimentieren! Daneben bleibe ich in anderen Stiftungen und Gremien, aber eben als Mitglied und nicht im Vorsitz, sodass endlich mehr Zeit mit meinen drei Töchtern und neun Enkelkindern bleibt.

Ursel Heraeus war von 2006 bis Ende März 2023 Vorstandsmitglied der Heraeus Bildungsstiftung. Sie ist pensionierte Gymnasiallehrerin für die Fächer Englisch und Sport und unterrichtete an Gymnasien in Lahr und Kirchzarten in Baden-Württemberg. Sie lebt in Freiburg.

Dr. h. c. Beate Heraeus, Diplomkauffrau und Unternehmerin, engagierte sich 36 Jahre lang im Vorstand der Heraeus Bildungsstiftung, davon 15 Jahre lang als Vorstandsvorsitzende. In ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzende nahmen ca. 38.000 Lehrkräfte und Schulleitungen an Qualifizierungen der Stiftung teil. Beate Heraeus leitet die Beate Heraeus Foundation, hat zahlreiche weitere Ämter inne und lebt in Maintal.