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Zum Jahrestag der ersten Schulschließungen am 16. März 2020

Artikel

von Torsten Larbig

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Schüler*innen aus Klassen, in denen ich nach den Sommerferien neu unterrichtete, sah ich erst bei Aufnahme des Distanzunterrichts im Januar 2021 ohne Maske, dann aber allein auf dem Bildschirm.

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Als wir im Februar 2021 sogar in Frankfurt am Main Winter und entsprechende Minusgrade hatten, dachte ich mit Grausen daran, wie es wäre, unter diesen Bedingungen lüften zu müssen.

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Neue Worte haben wir alle gelernt oder aktiver in den Wortschatz aufgenommen: Querlüften, Stoßlüften, FFP2, Inzidenz, R-Wert, Maskenpflicht, Super-Spreading, Triage etc..

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Noch deutlicher als bereits zuvor ist geworden, dass Lehrer*innen viel Arbeitsmaterial selbst anschaffen und es dann bestenfalls bei der Steuer geltend machen können. Dieses Mal ging das so weit, dass ohne die Nutzung privater Rechner Distanzunterricht nicht möglich gewesen wäre. Immerhin führte dies bei der Politik zu der Erkenntnis, dass Dienstrechner vielleicht doch keine schlechte Idee seien. – Angekommen sind diese bislang nicht.

Ebenso wenig hat unser Schulträger bauliche Maßnahmen vorgenommen, um z. B. zuverlässige Lüftungsanlagen in die Schulen zu bringen.

Nun war ich – als Teil eines motivierten Kollegiums, dank einer engagierten Schulleitung und der aktiven Unterstützung durch Eltern – nie auf mich allein gestellt, was aber manches nur begrenzt auffangen konnte.

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Das überbordende Lehrerbashing in der medialen Manege während der ersten Monate der Pandemie bis zu den Sommerferien war für mich nur schwer zu ertragen. Es hat weitgehend übertönt, was Kollegien trotz schlechter Bedingungen zu leisten bereit und in der Lage waren. Dieses Lehrerbashing hat Energie verschwendet.

Wir waren an unserer Schule bereits am Montag nach den Osterferien 2020 in der Lage, Distanzunterricht anzubieten. Dafür hatten sich Menschen aus der Schulgemeinde engagiert, dies möglich zu machen.

Es brauchte dann zwar noch etwas Zeit, bis wir Leihgeräte für Schüler*innen verfügbar hatten, die derer bedurften, und erst in den letzten Wochen gibt es die Möglichkeit, mit im Medienzentrum ausleihbaren LTE-Sticks schlechte Internetverbindungen abzufedern, doch wir sind in der aktuellen Situation in der Lage, Distanzunterricht, Wechselunterricht für die Klassen 5 und 6 sowie Präsenzunterricht für Abschlussklassen zu leisten. – Dazu braucht man allerdings ordentliches W-Lan. Nun, nach wie vor gehört das nicht an allen Schulen zur Standardausstattung.

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Mittlerweile zeigen sich die Spuren der Pandemie. So gibt es vermehrt Schüler*innen und auch Lehrer*innen, die an ihren Grenzen der psychischen Belastbarkeit ankommen.

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Mehr als es mir zuvor bewusst war, hat diese Pandemie bei mir den Eindruck hinterlassen, dass Schule nicht nur auch, sondern vor allem von der Frage geprägt ist, ob und wie man zu rechtssicheren Bewertungen kommt. Das ist im Rahmen gesellschaftlich geprägter Vorstellungen davon, was Schule – neben vielem anderen – ausmacht, sicher nachvollziehbar. Aber nach einem Jahr Pandemie kann ich mir zunehmend vorstellen, dass Schule anders gestaltet werden könnte und müsste, als wir das heute tun.

Lernen ist ein sehr persönlicher Prozess des Entdeckens und Entfaltens eigener Möglichkeiten über das sichere Beherrschen der Kulturtechniken hinaus. Kann Schule diesen persönlichen Prozess gestalten? – Und kann sie das, wenn wir nach der Pandemie zu einer Schule zurückkehren, wie sie vor der Pandemie war?

Ich befürchte, angesichts der Mängel in unserem Bildungssystem, die in der Pandemie verstärkt sichtbar wurden, wäre ein solches Zurück kontraproduktiv. Doch solange wir digitale Technologien nur als Lösungswege sehen, die in der Pandemie bewertbare Bildung oft mehr schlecht als recht am Laufen halten, halte ich es für gar nicht so unwahrscheinlich, dass Schule im Jahr 2022 aussehen wird, wie Schule im Jahr 2019 aussah.

Ich hoffe auf eine post-pandemische Didaktik. Denn in der Pandemie werden nicht nur die Mängel des Bildungssystems deutlich, sondern auch die Grenzen einer lehrerzentrierten Didaktik zur Vermittlung von Wissen und Kompetenzen angesichts der durch die Digitalisierung erweiterten Möglichkeiten.

 

 

Zum Autor: Torsten Larbig ist Lehrer an einem Gymnasium in Frankfurt am Main. Er unterrichtet Deutsch und katholische Religion und befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen der Bildung im Kontext der Digitalisierung. Er bloggt auf herrlarbig.de und ist als @herrlarbig auch auf Twitter zu finden. Seit 2016 ist Torsten Larbig Mitglied im Beirat der Heraeus Bildungsstiftung.

 

© Text und Foto: Torsten Larbig