Auszug aus der Begrüßungsrede von Martin Fugmann, geschäftsführender Vorstand der Heraeus Bildungsstiftung, zur Sommerakademie für Schulleiter:innen 2023 in Baden-Württemberg
Unsere Bildungsdiskussion ist geprägt von Krisenrhetorik: Das schlechte Abschneiden der Grundschüler:innen in der IQB-Studie, Mittelmaß bei internationalen und nationalen Schulleistungsstudien – wie sollen unsere Kinder und Jugendlichen die Welt vor dem Klimakollaps, dem Rückzug der Demokratie, den Kriegen in der Welt retten, wenn sie noch nicht einmal schreiben und lesen können? Wer soll es ihnen beibringen, wenn es noch nicht einmal annähernd genug Lehrkräfte gibt? Da ist man allzu schnell geneigt, den Kopf in den Sand zu stecken und den Idealismus zu verlieren, der uns mal dazu bewogen hat, diesen doch wunderbaren Beruf zu ergreifen.
Veränderte Zielgruppen: Schüler:innen und Lehrkräfte
Der Blick in Curricula, Schulgesetze, Erlasse, Studienordnungen, Lehrerausbildungskonzepte, Führungskräftequalifizierungskonzepte zeigt: Sie tragen das Wasserzeichen des „Weiter so“, des „Optimierens“, des „Drehens an den Stellschrauben“, dabei hat uns die Realität längst überholt – unsere Schüler:innen und auch die neue Generation unserer Lehrkräfte sind nicht die Zielgruppe, für die die meisten von uns ausgebildet worden sind. Da hat sich etwas verändert: immer stärker erlebbare Heterogenität, veränderte Lebensentwürfe innerhalb und außerhalb der Familien, sich verändernde kulturelle Identitäten und sprachliche Diversität etc.
Das Lernen vollzieht sich in stark veränderten Settings und wir müssen feststellen, dass Lernangebote für unsere Zielgruppen oft nicht mehr relevant sind und dann auch keine Früchte mehr tragen. Unterrichtsführung und Unterrichtsmethodik zu optimieren und Unterrichtsangebote quantitativ anzupassen, ist unbedingt notwendig, greift aber zu kurz – insbesondere die quantitative Versorgung mit Unterricht entlang der zentralistisch dirigierten Lehrkräftezuweisung führt, wie wir alle sehen können, nicht zum Erfolg.
Ein düsteres Bild … oder?
Entfaltung kollektiver Wirksamkeit
Trotz der bisweilen populistisch anmutenden Krisenrhetorik in Deutschland gibt es viele beeindruckend wirksame Schulleitungen, Kollegien und Schulen, die geradezu meisterhaft die immer wieder auftauchenden Herausforderungen angehen und dabei das scheinbar Unmögliche möglich machen. Die empirische Schulforschung spricht von der Entfaltung kollektiver Wirksamkeit: Damit sind Bündnisse gemeint, die nicht aus Einzelkämpfer:innen bestehen, sondern im Team und in Netzwerken agieren, voneinander und füreinander lernen, Fehler als Chance begreifen und sich immer wieder neu erfinden. Wir hören von mutigen Schulleitungen, die bisweilen zivilen Ungehorsam pflegen, um ihren Schülerinnen und Schülern die besten Lerngelegenheiten zu verschaffen – starken Persönlichkeiten mit Intuition, die empathisch kommunizieren, überzeugen und Menschen anstecken, mitzugestalten.
Innovationsbereitschaft als Frage der Haltung
Und es sind eben nicht nur die pädagogischen Konzepte, sondern auch die dadurch erreichten belegbaren Lernerfolge, die überzeugen – wir müssen uns dazu nur die Leistungsdaten und Wirksamkeitsdaten vieler Schulpreisschulen anschauen. (…)
Veränderung und guten Unterricht kann man nicht in den immer zahlreicher angebotenen Managementseminaren verordnen – wenn das so wäre, sähe die Bildungsrealität längst anders aus.
Veränderung beginnt immer bei uns selbst und Innovationsoffenheit ist zunächst eine Frage der eigenen Haltung und nicht ein Auftrag der Schulbehörden oder der Ministerien. Dieser Spur folgen wir mit den Angeboten der Heraeus Bildungsstiftung. (..).
Was der Einzelschule hilft, hilft dem System
Mit der Sommerakademie 2023 haben wir die Chance, Koalitionen, Netzwerke und letztlich Bündnisse gestaltungswilliger und mutiger Schulleiter:innen zu bilden, denn
was der Einzelschule hilft, hilft dem System.
Für das Lernen tragen alle gemeinsam die Verantwortung – in der Kommune, bei den Trägern, im Schulamt, im Regierungsbezirk, im Bundesland und auf Bundesebene. Die in diesem Raum versammelte Expertise zu nutzen und zusammenzubringen, wird sich auf die Lerngelegenheiten unserer Schülerinnen und Schüler positiv auswirken.
Warten wir also nicht darauf, dass um uns herum alles besser wird, sondern beginnen wir bei uns selbst. Damit könnten wir die Systemverantwortlichen dazu motivieren, die überfälligen strukturellen Veränderungen (endlich) so zu gestalten, dass unsere Bündnisse das Lernen unserer Kinder auf das nächste Level heben.